Die guten und die besseren Tage
Frauen und Alkohol - Die guten und die besseren Tage
Mit Pfefferminzspray ist sie zwar kein Prinz, aber zumindest riechen Suzannes drei Kinder ihre Fahne nicht. Suzanne ist alleinerziehende Mutter von drei Söhnen. Morgens wankt sie zur Arbeit, abends kann es nicht schnell genug gehen, bis die Kinder endlich im Bett sind - zu sehr ist sie genervt von ihnen. Den nächsten Schluck kann sie kaum erwarten. Viele von uns kennen dieses Gefühl. Besonders wenn Kinder mit im Spiel sind, kommt dieses mega schlechte Gewissen dazu. Aber man ist dem Alkohol längst ausgeliefert.
Nach einem Unfall verliert Suzanne das Sorgerecht. Um es zurückzubekommen, muss sie einen Entzug in einer Klinik antreten. Dort trifft sie auf weitere Frauen aus unterschiedlichen Schichten in ähnlichen Situationen. Gemeinsam sollen sie sich einer ungewöhnlichen Herausforderung stellen: der Teilnahme an einer Dünen-Rallye in der marokkanischen Wüste - als Teil der Therapie. Eine tolle Metapher für das, was innerlich in Bewegung kommt. Das Ganze wird tatsächlich mit wunderschönen Bildern umgesetzt. Ihr Sport-Coach Denis, der selbst mal ein Alkoholproblem hatte, bereitet sie auf diese Reise vor - Fahrtraining auf einem Supermarktparkplatz, Öl- und Reifenwechsel inklusive.
Obwohl der Film kein Dokumentarfilm ist, fühlt er sich oft so an. Die Macherinnen haben intensiv recherchiert und professionelle Schauspielerinnen mit Betroffenen zusammengebracht, die ihre echten Geschichten als Laiendarstellerinnen einbringen. Genau das verleiht dem Film eine unglaubliche Authentizität. Die Geschichten wirken nah, die Dialoge ehrlich und ungekünstelt - auch, weil die Macherinnen die Laiendarstellerinnen in manchen Szenen improvisieren lassen, vor allem dann, wenn es um ihre persönlichen Erfahrungen geht.
Mich hat trotz dieser Authentizität gestört, dass die Betroffenen dem Klischee der „Alkoholikerin“ absolut entsprechen und somit zur Stigmatisierung beitragen können, was sicherlich nicht beabsichtigt war. Wahrscheinlich wird niemand, der noch im Graubereich unterwegs ist, sich mit ihnen identifizieren. „So schlimm ist es ja noch lange nicht bei mir.“ Kennen wir…
Und trotzdem: Der Film zeigt sehr einfühlsam typische Phasen der Sucht. Ganz vorne mit dabei - die Verleugnung: „Ich weiß gar nicht, was ich hier soll“ und 1000 Gründe, warum man getrunken hat. Für die 1001 Gründe, es nicht zu tun, ist es noch zu früh.
Wir bekommen Einblick in eine Entzugsklinik mit dem Namen „Haus der Hoffnung“. Wir erleben Gruppengespräche, empathisches Personal, persönliche Krisen, Rückfälle und erste kleine Schritte zurück ins Leben. Manche Frauen möchte man wegen ihrer blöden Sprüche am liebsten durchschütteln. Andere Szenen haben meinen Atem stocken lassen. Die Kamera ist so nah dran, dass man ganz automatisch mitfühlt - egal, ob mitfühlend oder sogar etwas augenrollend über diese Uneinsicht. Das muss ein Film erst mal schaffen.
Und dann sind da auch diese berührenden Momente: wie langsam Vertrauen wächst, wie sich Freundschaften bilden, wie die Frauen sich gegenseitig stärken. Wir lernen bei Nathalie im Programm (https://oamn.jetzt/meine-programme/), Mephisto vom Hof zu jagen, im „Haus der Hoffnung“ wird auf Boxsäcke eingeschlagen, die Gin Tonic oder Bourbon heißen.
Ich habe mir den Film zusammen mit einer anderen OAMN-Teilnehmerin angeschaut. Hinterher hatten wir noch genug Zeit, drüber zu sprechen. Sie hat kritisiert, dass am Ende nur die attraktiveren Frauen bei der Rallye in Marokko dabei waren. Da habe ich mich direkt ein wenig ertappt gefühlt, fand ihren Einwand aber mega. Denn ich war darüber ehrlich gesagt eher erleichtert, speziell wegen des oben erwähnten Klischees. Asche auf mein Haupt. Aber dann hab ich ein bisschen nachgelesen und verstanden, warum das so gemacht wurde: Für die Szenen in Marokko brauchte es erfahrende Schauspielerinnen, die nicht nur fahrerisch fit, sondernd auch körperlich belastbar sind.
Fazit: Der Film zeigt, es kann jeden treffen. Es bleiben aber einige Fragen offen - auch, was Denis so antreibt. Aber insgesamt: eine kleine, sehr gut recherchierte Perle mit viel Herz und Mut für unsere Community.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen