Wie nenne ich meine Suchtstimme?



Ihr kennt alle die ModeratorInnen, die mit einem Knopf im Ohr ausgerüstet sind, um den Regieanweisungen aus dem Off folgen zu können. So in etwa stelle ich mir meine Suchtstimme vor.

Sie flüstert: Nun komm' schon – jetzt bist du schon bei Tag XY, ein Glas kannst du dir schon gönnen. Die sogenannten Cravings. Nun wissen wir aus der Gehirnforschung, dass ein Glas eben nicht geht. Das Gehirn erinnert sich sofort, auch wenn die Sucht tief in der Gruft vergraben liegt und mittlerweile mit Unkraut überwachsen ist. Sie wird quietschfidel auferstehen und vor Freude tanzen. Apropos Fidel: Catherine Gray schreibt in ihrem Buch The Unexpected Joy of Being Sober: Lernt man als Kind Geige, spielt dann über Jahre überhaupt nicht, erinnert sich das Gehirn sofort, sobald das Instrument wieder auf der Schulter liegt.

Deshalb ist es so essentiell, dass man als alkoholsüchtiger Mensch niemals auf diese Stimme aus dem "Off" hört. Egal wie laut sie wird. Auch soll man sich bloß NICHT einreden, wenn ich heute ein Glas trinke, dann fange ich auf keinen Fall wieder bei Null an mit meinen Sober-Days. Ich ziehe einfach von meinen nüchternen Tagen einen ab. Hinterhältig! Fall' nicht drauf rein. Mir ging's an Tag 99 wirklich übel. Hätte ich mir da gesagt, dann kommt Tag 100 eben erst einen Tag später, dann würde ich hier jetzt nicht so locker und Kaffee-schlürfend sitzen und mich freuen, dass heute Tag 107 angebrochen ist.

Im Programm von Nathalie Stüben, aber auch in allen Büchern, die ich bisher gelesen habe, geht es darum, dem "Möchtegern-Regisseur" im Kopf einen Namen zu geben. Viele nennen ihn Mephisto. Richtig anbrüllen soll man ihn, Schimpfwörter darf man ihm an den Kopf werfen, damit er sich ja wieder tief in sein Grab verkriecht. Leider können wir den Deckel nicht auf immer und ewig zunageln. Ist so, siehe oben das Beispiel mit der Geige.

Mir ist Mephisto aber zu abstrakt. In dem oben erwähnten Buch schreibt Catherine, dass sie nach einer Figur gesucht hat, die etwas Erhabenes an sich hat. Sie ist bei Lord Voldemort gelandet. So geht es mir auch. Ich kann buchstäblich keiner Fliege etwas zu Leide tun. Daher komme ich mit Figuren à la Gollum aus Herr der Ringe (Mein Schatz "Der Ring, der Ring = ein Drink, ein Drink) nicht klar, weil sie ja nun wirklich so eine arme Kreatur ist, dass sie mir fast Leid tut, wenn ich sie anbrülle. Lacht ruhig.

Für mich passen Figuren aus Musicals. Stolze Männer mit geschwollenen Brüsten. In diesem Genre treibt zum Beispiel der Tod aus "Elisabeth" sein Unwesen. Wenn er als Suchtstimme bei mir auftaucht, kann ich entweder im Kopf oder laut (wenn mich keiner hört) singen: "Geh, ich will dich nicht! Ich brauch' dich nicht! Geeeehhhhh". Wer das Musical kennt, hat jetzt bestimmt einen Ohrwurm. Sorry, nein gar nicht sorry. Ist ja ein so schönes Lied ;-)



Oder Graf Krolock aus "Tanz der Vampire" passt auch gut. Zur Not darf auch der schöne Edward aus den Biss-Verfilmungen vorbeischauen. Der steht bei mir zwar noch unter Welpenschutz. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Bei den beiden erwähnten schönen Herren, von denen eine irrsinnige Anziehungskraft ausgeht, fällt es mir überhaupt nicht schwer, zu sagen: Schau', da drüben, die Dame mit dem Prosecco, die hat doch einen schönen langen Schwanenhals. Nimm' die. Ich will von dir nix. Mein Blut schmeckt viel zu fad. Bei der da drüben bekommst du gleich ein paar Promille mitgeliefert. So, jetzt hau' ab! Dieser Blick der Herren, die es gar nicht gewohnt sind, abgewiesen zu werden, ist unbezahlbar. Und meine Nüchternheit sowieso.
















#alkohol #alkoholsucht #sucht 




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