Rezension: Trinkerbelle von Mimi Fiedler
Trinkerbelle klingt erst mal nach Glitzer und romantischem Tutu. Bis man Mimis Buch aufschlägt und anfängt zu lesen. In den ersten Kapiteln nimmt sie uns mit in ihr Heimatdorf in Kroatien. Sie beschreibt den Struggle ihrer Mutter, die sie dort zurücklassen musste, um mit ihrem Mann nach Deutschland zu gehen. Mimi selbst hat's schön im Dorf, ihre Tante kümmert sich liebevoll um sie. Ihre Eltern sind ihr fremd. In Kroatien schlägt das Schicksal schon mal so gewaltig zu, dass das allein für einen abendfüllenden Spielfilm reichen würde. Mimi baut diese Fügung so spannend auf, dass man wirklich kurz vergisst, worum es in dem Buch später gehen wird. Nämlich ums Trinken. Ums besinnungslose Trinken.
Woher dieser tief verborgene Schmerz kam, beschreibt sie aus der Sicht eines noch naiven 7-jährigen Kindes. Sie wird aufs Übelste missbraucht. Versteht das aber in diesen jungen Jahren noch nicht. Zumindest nicht bewusst. Diese verstörenden Erlebnisse brennen sich in ihre Seele und für immer in mein Gedächtnis. Denn das sind so gruselige Bilder, die wird man niemals vergessen. Hinzu kommt, dass ihre Tante für sie wie eine Mami war. Auch wenn ihre leibliche Mutter sie mit zwei Jahren endlich nach Deutschland holen kann, ihr den Himmel auf Erden bietet und Klein-Mimi mit Liebe überschüttet, wird sich der Verlust ihrer ersten Bezugsperson ins Unterbewusstsein gegraben haben. Man weiß, dass die frühen Lebensjahre für Menschen prägend sind. Also ein doppelter Meteoriten-Einschlag für die zarte Kinderseele.
Mimi gleitet nicht langsam in die Sucht. Sie besäuft sich schon als noch mit Barbiepuppen spielendes Kind bis zur Bewusstlosigkeit. Dieser Mechanismus, sich mit Alkohol zu betäuben, hält gut 30 Jahre lang an. Die Mengen, die sie getrunken hat, wird vielleicht LeserInnen denken lassen, dass es bei ihnen lange nicht so schlimm ist. Also weiter hoch die Tassen? Stop! Wer sich darin wiedererkennt, wie Mimi das ferngesteuerte Greifen zur Flasche beschreibt (wie ein Roboter oder eine Marionette an unsichtbaren Fäden), obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, nur heute mal nicht zu trinken, sitzt bereits ganz tief in der Alkoholfalle. Abhängigkeit hat viele, viele Gesichter.
Meins gehört(e) auch dazu. Wie Trinkerbelle, die sich trotz ihrer zerschmetterten Flügel aus der Falle befreien konnte, ist mir das Kunststück, nüchtern zu werden, ebenfalls gelungen. Der Startschuss für die Befreiung war Mimis Podcastfolge mit Nathalie Stüben, die mich umgehend dazu brachte, am 30-Tage-Programm OAMN (Ohne Alkohol mit Nathalie) teilzunehmen.
Trinkerbelle ist eine wunderbar geschriebene, schonungslos ehrliche Geschichte, in der keine Peinlichkeit ausgelassen wird. Ich habe mich beim Lesen eines Buchs noch niemals einer Autorin so nah gefühlt. So nah, dass man sie am liebsten umarmen möchte und ihr Danke sagen möchte, dass sie mit ihrer Biografie an die Öffentlichkeit gegangen ist. Da Alkohol von unserer Gesellschaft krass verharmlost und verherrlicht wird, ist es so wichtig, dass immer mehr Menschen erzählen, was diese süchtig machende Droge anrichten kann, auch wenn man sich morgens (noch) kein Wodka ins Müsli schüttet oder sein Dasein im Bahnhofsviertel fristet.
#trinkerbelle #alkohol #alkoholsucht #abhängigkeit
Kommentare
Kommentar veröffentlichen