22 Bahnen - Verfilmung des Buchbestsellers





Bis ans Ende der Zeit, bis kein Regen mehr fällt, gegen den Sturm, am Abgrund entlang … (Durch den Monsun)

Ida, Tildas kleine Schwester, geht nur dann gern ins Schwimmbad, wenn es regnet. Dann hat sie das große Becken nämlich ganz für sich. Menschenmengen mag sie nicht. Tilda ist längst ihr Mutterersatz geworden. Die beiden wachsen in einer Familie auf, die ein klassisches Beispiel für Dysfunktion ist. Die Mutter ist alkoholabhängig. Betrunken zündet sie gern mal die Küche an, verliert schnell die Kontrolle und ihr rutscht immer wieder die Hand aus. Am nächsten Tag, wenn sie von Schuldgefühlen geplagt wird, schnitzt sie liebevoll Radieschenröschen, deckt den Frühstückstisch und versucht, mit den Kindern Dialoge zu führen, die so künstlich daherkommen, dass es wehtut. Die beiden Mädchen wissen sofort: Jetzt kommen wieder die Versprechen, dass dieser Absturz der letzte war. Und das hält eben so lange, bis die Mutter in die stabile Seitenlage gebracht werden muss und die kleine Ida stoisch den Krankenwagen ruft: Benzos mit Wodka, bewusstlos. Da schnürt es einem die Kehle zu, weil so offensichtlich wird: Diese Routine ist ihnen alles andere als fremd. Und natürlich, die Mutter sieht sich nicht als Alkoholikerin. Das würde ja bedeuten, sie müsste aufhören zu trinken, und davon ist sie weit entfernt.

Tilda, 21 Jahre alt, hält alles am Laufen. Während sie Mathematik studiert, jobbt sie an der Supermarktkasse und schiebt  Produkte über den Scanner. Um der Eintönigkeit zu entrinnen, stellt sie sich vor, wie der Kunde wohl aussieht: „30 Jahre, bisschen prollig.“ Ooops, völlig daneben. Herrlich. Das sind die kleinen Momente, die dem Film Leichtigkeit verleihen. Dazu gehört auch eine zarte Liebesgeschichte, die sich langsam um den „Prinzen“ aus dem Schwimmbad spinnt.

Bemerkenswert ist, dass die Alkoholabhängigkeit der Mutter im Film "nur" Nebenhandlung ist. Und doch hängt sie wie ein Damoklesschwert über allem. Da sieht man die vollen Taschen mit leeren Flaschen, eine komatös schlafende Mutter auf dem Sofa, eine aggressive Frau, die um sich wütet. Dann folgen die Szenen mit der schlaff am Haken hängenden Jutetasche – ein Symbol auch für die Mutter, wenn ihre aufgesetzte Fröhlichkeit zusammenbricht und sie zusammenfällt wie ein Luftballon, aus dem man langsam die Luft rauslässt.  Dann weiß man: Gleich schickt sie Ida los, Wodka zu besorgen. Dass Ida nicht so will, wie ihre Mutter, sieht man ausschließlich daran, dass ihr Gesicht von einem Schlag ins Gesicht gerötet ist. Herzzerreißend. Auch hier verzichten die Filmemacherinnen auf verstörende Szenen. Auf Schocker-Szenen möglichst zu verzichten, reicht völlig aus. "22 Bahnen" zeigt auch so eindringlich, welche schicksalhaften Auswirkungen Alkohol auf Familien haben kann - und wie schnell Kinder lernen müssen, psychisch widerstandsfähig zu werden, um möglichst wenig Schaden zu erleiden.

Tilda hat Träume, kann sie aber nicht leben, weil ihre Sorge um ihre kleine Schwester viel zu groß ist. Ihr Rückzugsort – das Schwimmbad, wo sie ihre 22 Bahnen zieht. Dort tankt sie Kraft, gönnt sich ihre ganz eigene Me-Time.

Die Verfilmung des Bestsellers von Caroline Wahl ist im Rahmen eines neuen bayerischen Förderinstruments für Frauen entstanden, um Gleichberechtigung in der Filmbranche zu stärken. So wurde 22 Bahnen größtenteils von einem Frauenteam realisiert. Das Projekt profitierte vom sogenannten Gender Incentive des FFF Bayern, das Produktionen zusätzlich unterstützt, wenn mindestens drei Schlüsselpositionen wie Regie, Drehbuch oder Produktion von Frauen besetzt sind. Dieses Programm gilt als wichtiger Schritt, um weibliche Filmschaffende sichtbarer zu machen und langfristig strukturelle Veränderungen in der Branche anzustoßen. Der zweite Teil, Windstärke 17, in dem Idas und die Geschichte ihrer Mutter weitererzählt wird, befindet sich bereits in der Verfilmung.

Die Verfilmung hat mich sehr berührt. Interessant ist, dass im Publikum viele junge Frauen saßen. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass auf der Frankfurter Buchmesse "22 Bahnen"mit dem #BookTok Bestseller des Jahres ausgezeichnet wurde. Der Preis wird in Zusammenarbeit mit TikTok verliehen und basiert auf Verkaufsdaten und internen TikTok-Analysen. Das kann man nur begrüßen, damit junge Menschen möglichst früh damit konfrontiert werden, was Alkohol alles anrichten kann - sofern sie es nicht in der eigenen Familie zu schmerzhaft erfahren müssen. 

Zurück zum Zitat aus dem Song „Durch den Monsun“ von Tokio Hotel. Auch wenn die Zeile perfekt zur Geschichte passt, habe ich mich gefragt, warum die Macherinnen ausgerechnet diesen Song gewählt haben. Wer die Tokio-Hotel-Zwillinge auf Social Media, im Podcast oder auf Netflix verfolgt, weiß: Sie selbst stecken ziemlich tief in der Alkohol-Falle. Sie verharmlosen ihn so stark, dass man fast Mitleid bekommt. Den Rockbottom haben sie noch nicht erreicht, aber wenn es so weitergeht, wird er kommen. Insofern empfinde ich persönlich den Song als etwas unglückliche Wahl. Ich bin gespannt, was ihr dazu sagt. 

PS: Übrigens soll die alkoholkranke Mutter nur Nebenplatz sein, um die Emanzipation der beiden Mädchen zu erzählen. Das hat Caroline Wahl auf einer Lesung erzählt. Sie wollte nicht das Licht auf das Problem, sondern auf die Lösung legen. Wie gestalten die Mädchen unabhängig von der Mutter ihr leben, sodass es erfolgreich und schön wird? 

#22Bahnen #Alkoholsucht #Sucht #Film

Kommentare

  1. Wie kannst du behaupten, dass die Verfilmung gelungen ist, wenn du das Buch nicht gelesen hast?

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    2. Hey, du hast absolut recht, da habe ich mich verformuliert. Ich wollte im Prinzip nur klar machen, dass das ein toller Film ist. Sorry fürs Missverständnis.

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  2. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was dein Kommentar mit meinem zu tun hat.

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  3. Der bezieht sich auch auf den Blogg… aber da wurde dieser Post nicht hingestellt… ist also nicht auf dich bezogen! Adieu!

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